Der Betriebshof: Eine Parabel politischer Unvernunft ?
Der Neubau des Heidelberger RNV-Betriebshofs am alten Standort in Bergheim wirft nach wie vor Fragen auf.
Steuergeldverschwendung? Verpasste Chancen für bezahlbaren Wohnraum? Verantwortungsloses Verhalten bei politischen Entscheidungsfindungen? Das zähe Ringen um den Neubau des Heidelberger RNV-Betriebshofs auf dem bisherigen Gelände in Bergheim hat jahrelang die Gemüter erhitzt. Wirklich abgekühlt sind sie noch nicht.
Die Geschichte des „RNV-Betriebshofs 2.0“ beinhaltet endlose Diskussionen, einen Gemeinderatsbeschluss, den das Gremium – inzwischen neu gewählt – selbst wieder „kassiert“, einen umstrittenen Bürgerentscheid, der rechtlich nicht bindend war, und viel Geld, das unter anderem für Planungen und Gutachten investiert werden musste. Und das Ergebnis? Manche sagen: Eine „halbe Lösung“, die ein Vermögen kostet. Und ein Beispiel dafür, wie langsam die politischen Mühlen mahlen können und wie wenig Mehl am Ende dabei herauskommt.
Darum geht‘s: Der Betriebshof im Heidelberger Stadtteil Bergheim ist schon lange in die Jahre gekommen. Er ist nicht nur viel zu klein für die Anforderungen an einen modernen, klimafreundlichen ÖPNV (die modernen langen Straßenbahnen und die E-Bus-Flotte der RVN sind heute ganz anders dimensioniert als vor früher). Auch die Arbeitsbedingungen in dem in seinem Grundaufbau über 100 Jahre alten Betriebshof sind für die Belegschaft längst eine Zumutung. Nicht zuletzt aus arbeitsrechtlicher Sicht. Darin sind sich übrigens alle politischen Lager einig. Licht am Ende des Tunnels ist endlich in Sicht: Am alten Standort in Bergheim wird der Betriebshof neu gebaut. Aufwändig über zwei Etagen mit einer Elektro-Bustankstelle für 30 Gelenkbusse auf dem Dach einer Fahrzeughalle für die Straßenbahnen. Der Umbau erfolgt im laufenden Betrieb, was für die RNV zur großen Herausforderung wird. Und er kostet viel Geld. Vielmehr als ursprünglich für einen Neubau auf der grünen Wiese, am Großen Ochsenkopf, vorgesehen. Konkret: 120 Millionen Euro sind für den Neubau des Betriebshofs mittlerweile vorgesehen. Dazu kommen weitere 22 Millionen für eine weitere dezentrale Abstellfläche in Wieblingen. Denn von den bald 50 RNV-Straßenbahnen finden in Bergheim künftig nur 32 Platz. Damit wird das Gesamtprojekt weit mehr als doppelt so teuer als ursprünglich einmal für den Ochsenkopf-Neubau geplant.
Viel Geld, das an anderen Stellen fehlt
Kosten und Finanzierung: Finanziert wird das Projekt von der RNV, die anschließend während der Abschreibungsphase die Kosten der Stadt über eine höhere ÖPNV-Bezuschussung in Rechnung stellen wird. Immerhin winkt Unterstützung durch Landesmittel. Von rund 40 Millionen Förderzuschuss für den Neubau in Bergheim und weiteren 10,5 Millionen für die Abstellflächen in Wieblingen geht die Stadt derzeit mit kaufmännischer Vorsicht aus. Heißt im Klartext: Die insgesamt 55,5 Millionen Euro sind sicher, weitere Zuwendungen nicht ausgeschlossen. Auf dieser Basis wird der städtische Ergebnishaushalt künftig aber dennoch jährlich mit geschätzt 6,5 bis 7,5 Millionen Euro belastet – und das für die nächsten 30 Jahre. Wohlgemerkt der Ergebnishaushalt. Die Millionen fehlen also direkt für andere Investitionen, etwa für Schulsanierungen, bezahlbaren Wohnraum oder andere Nahverkehrsprojekte. „Das Geld hätte man viel besser für andere wichtige Projekte verwendet“, ist Larissa Winter-Horn, „Die Heidelberger“-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat überzeugt. Linken-Fraktionschefin Sarah Mirow signalisiert, zumindest unter dem Kostenaspekt „nicht mit Freude“ dem Bergheim-Projekt zugestimmt zu haben. Auch die Grünen, die von Anfang an gegen eine Verlagerung des Betriebshofs auf die Ochsenkopfwiese waren und immer wieder einen Neubau auf dem Gelände des Recyclinghofs favorisiert hatten, sehen die explodierenden Kosten als „Wermutstropfen“, wie die Fraktionsvorsitzende Dr. Ursula Röper in einem Stadtblatt-Beitrag der Gemeinderatsfraktion (Ausgabe 28. Februar 2024) einräumte. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Kosten im Bausektor in den zurückliegenden Jahren explodiert sind und die ursprüngliche Kalkulation für eine Ochsenkopf-Bebauung vermutlich auch nicht mehr aufgegangen wäre. Dass die jetzige Lösung aber trotzdem viel aufwendiger und teurer wird, ist unstrittig. Auch hätte man durch eine zügigere Entscheidungsfindung den allgemeinen Baukostensteigerungen vermutlich zuvorkommen können – schließlich liegt die ursprüngliche Gemeinderatsentscheidung pro Ochsenkopf auch schon wieder fast sechs Jahre zurück. Der neue Betriebshof auf der Ochsenkopfwiese könnte heute schon fertig sein. So wird jetzt erst 2026 mit dem Bau begonnen – mit einer Fertigstellung ist frühestens 2031 zu rechnen.
Verpasste Chancen
Es bleiben also Fragen. Gehen die am Ende treibenden Kräfte im Gemeinderat verantwortungsvoll mit öffentlichen Geldern um? Und welchen Mehrwert bringt die teurere Bergheim-Lösung der Stadt und ihren Bürgern? Einen Beitrag zur Entspannung des Wohnungsmarktes jedenfalls nicht. Denn bei einem Betriebshof-Umzug auf die Ochsenkopfwiese hätten in Bergheim 140 neue GGH-Wohnungen entstehen sollen – auch für den kleineren Geldbeutel bezahlbarer Wohnraum. Und der ist in Heidelberg schließlich rar. In der Heidelberg-Studie 2022 (das ist die jüngste derzeit veröffentlichte Version) hatte knapp ein Drittel der Befragten den Wohnungsmarkt und die Höhe der Mieten als wichtigstes Problem der Stadt benannt. In diesem Jahr sah sich der Gemeinderat sogar dazu veranlasst, ein umfangreiches Maßnahmenpaket zu verabschieden, um der Spirale steigender Mieten einen Riegel vorzuschieben. Gleichzeitig wurde die Chance, in Bergheim neuen Wohnraum zu schaffen, verpasst. „Nicht nur mit Blick auf den entgangenen neuen Wohnraum, sondern generell ist die jetzige Lösung eine verpasste Chance für die Gesamtentwicklung von Bergheim“, ist die CDU-Fraktionsvorsitzende Prof. Dr. Nicole Marmé überzeugt. „Mit Blick auf die Stadtentwicklung ist Bergheim der denkbar schlechteste Ort für einen Betriebshof. Das war vielleicht früher einmal anders, aber da war Heidelberg auch deutlich kleiner. Bergheim hätte wirklich etwas Schöneres verdient.“ Grünen-Fraktionschefin Röper spricht sogar von einer „verpassten Jahrhundertchance“ für den Stadtteil. Um den Ochsenkopf als grüne Wiese zu bewahren und weil andere Standorte nicht infrage kamen (die Stadtverwaltung hatte fast ein Dutzend Örtlichkeiten prüfen lassen), gab ihre Fraktion dann aber doch grünes Licht für den alten Standort.
Umstrittener Bürgerentscheid
Womit der Blick auf die Entscheidungsfindung im Gemeinderat fällt. Mit für Heidelberger Verhältnisse unüblich großer Mehrheit hatten die Parlamentarier 2018 zunächst den Weg für die Umsiedlung des Betriebshofs auf den Ochsenkopf freigemacht. Auf Initiative der SPD, die sich einen Ruck gegeben hatte, weil mehrere Abstimmungen im Vorfeld zu keinem Ergebnis gefunden hatten. Kurz darauf grätscht die Initiative „Bündnis für Bürgerentscheid Klimaschutz“ dazwischen und erwirkt einen Bürgerentscheid. So weit, so demokratisch korrekt. Wobei: Auch der Weg zum Bürgerentscheid wirft Fragen auf. „Die Sammlung der notwendigen Unterschriften ist nicht korrekt gelaufen. Da wurden viele fadenscheinige Argumente benutzt, die nicht belegt sind“, erinnert sich Sören Michelsburg, SPD-Spitzenkandidaten für die bevorstehenden Kommunalwahlen am 9. Juni.
Dann spitzt sich die Situation zu. Von insgesamt 33.337 Bürgerinnen und Bürgern, die beim Bürgerentscheid im Juli 2019 an die Wahlurne treten (30,4 % Wahlbeteiligung) stimmen 19.019 gegen die Ochsenkopf-Lösung. Das ist die Mehrheit (57,1 %), aber das erforderliche Quorum wird verfehlt. Über 2.000 Ja-Stimmen fehlen. Ergo: Das Ergebnis ist für den Gemeinderat rechtlich nicht bindend. Noch dazu kommt: Die Fragestellung ist tatsächlich fragwürdig. „Sind Sie dafür, dass auf den gegenwärtig als Grünflächen genutzten Bereichen des Großen Ochsenkopfes kein RNV-Betriebshof gebaut wird?“ war auf dem Stimmzettel zu lesen. Klar ist dabei nur, was ein „Nein“ bedeutet, nämlich dass der Betriebshof auf den Ochsenkopf wandert. Wer sich gegen die Ochsenkopf-Bebauung entscheidet, also mit „Ja“ stimmt, lässt den Gemeinderat allerdings im Unklaren. Die Parlamentarier wissen nur, dass der Ochsenkopf aus dem Rennen ist, aber nicht, wo die Bürgerinnen und Bürger künftig gerne den Betriebshof sehen wollen. Diese Ungewissheit hatte schon kurz vor dem Bürgerentscheid die SPD-Fraktionsvorsitzende Prof. Dr. Anke Schuster in der Diskussionsrunde „Zur Sache“ des Rhein-Neckar-Fernsehens (Sendung vom 1. Juli 2019) deutlich kritisiert.
Das ist ärgerlich, müsste aber keine große Rolle spielen – das Quorum wurde ja verfehlt. Also: Ein halbes Jahr Zeit verloren, aber nichts Gravierendes passiert. Der Gemeinderatsbeschluss von Dezember 2018 hat ja Bestand. Oder doch nicht? Der mittlerweile neu gewählte Gemeinderat rollt mit nun neuen Kräfteverhältnissen (u.a. eine deutlich gestärkte Grünen-Fraktion) das Thema wieder auf. Grüne, Linke, Bunte Linke, Grün-Alternative Liste und Einzelstadtrat Waseem Butt leiten aus dem Bürgerentscheid einen „klaren Wählerwillen“ ab. Das kann man bei der geringen Wahlbeteiligung und 19.019 Ochsenkopf-Gegnern bei über 110.000 Wahlberechtigten zumindest hinterfragen. Dass man generell die Höhe der rechtlich erforderlichen Quoren gerade auf lokalpolitischer Ebene in Frage stellen kann, wie Linken-Fraktionschefin Sahra Mirow anmerkt („Die erforderlichen Quoren sind zu hoch“) – das ist legitim, für den zurückliegenden Entscheid aber nicht relevant. Und dass das Betriebshof-Thema offensichtlich in der Bevölkerung gar nicht auf so hohes Interesse stößt, ist auch nicht ungewöhnlich. „Kommunalpolitik ist für einen Großteil der Menschen eine eher unwichtige Ebene, bei Bürgerentscheiden ist das Interesse generell nicht sehr hoch“, weiß Matthias Jung, Chef der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen. Kann man dann beim Betriebshofsvotum von klarem Wählerwillen sprechen?
Groteskes Abstimmungsverhalten und „Umfaller“ im Gemeinderat
Fakt ist: Bei der neuerlichen Abstimmung im Gemeinderat über die Orientierung am Ergebnis des Bürgerentscheids wird der Beschluss von 2018 gekippt. Rolle rückwärts, der Betriebshof bleibt in Bergheim und wird dort neu gebaut. CDU, SPD, FDP, „Die Heidelberger“, AfD, Einzelstadtrat Raimund Beisel (Freie Wähler) sowie OB Würzner sind dafür, dass der alte Gemeinderatsbeschluss bestätigt wird. Grüne, Linke, Bunte Linke, Grün-Alternative Liste und Einzelstadtrat Waseem Butt folgen dem Aufruf des damaligen Grünen-Fraktionschefs Derek Cofie-Nunoo, nicht zu ignorieren, dass 57 Prozent der Wähler sich beim Bürgerentscheid für den Erhalt der Ochsenkopfwiese ausgesprochen haben. Und dann wird es grotesk: Stadtrat Björn Leuzinger bemüht bei der Abstimmung das „Welde-Orakel“, am Ende triumphieren die Ochsenkopf-Gegner mit 25:24 Stimmen. Vor der Abstimmung hatte sich Leuzinger gegenüber der Rhein-Neckar-Zeitung („Und am Ende entscheidet die Spaßpartei über den Betriebshof, Ausgabe vom 23. Juli 2019) so geäußert: „Es wird letztlich an meiner Stimme liegen. Ich warte jetzt mal die Angebote ab und werde meine Stimme an den Meistbietenden verkaufen oder das Welde-Orakel befragen.“ Das mag ein Scherz gewesen sein und dass der Stadtrat der Satire-Partei vorher doch wusste, was sein „Welde-Orakel“ ihm bescherte, darf man ihm bei allen nachträglichen Beteuerungen glauben. Welche Strahlkraft solche Verhaltensweisen in Zusammenhang mit einem Millionenprojekt auf die Bürger entwickeln kann, mag sich jeder selbst ausmalen. Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein eher nicht. Dann schon eher die Gefahr einer weiter wachsenden kritischen Haltung gegenüber der Politik, die Populisten den Weg ebnen kann. Oder noch geringeres Wähler-Interesse. „Dass Teile des Gemeindesrates umgefallen sind, halte ich für schwierig. Das hätte nicht passieren dürfen“, meint Sören Michelsburg (SPD). Nicole Marmé spricht sogar von „fehlendem Rückgrat. Dass politisch legitimierte Mitglieder umfallen, ist unsäglich. Hier hat die Demokratie ein Stück weit versagt.“ Vielleicht wurde sie teilweise sogar ins Lächerliche gezogen.
Diese Posse jedenfalls hat die – wenn in diesem Fall auch denkbar knappe – Mehrheit des Gemeinderats nicht davon abgehalten, zur Rückwärtsrolle anzusetzen. Fragt sich, warum? Der Kostenfaktor kann es nicht gewesen sein, denn in Bergheim wird der neue Betriebshof ja deutlich teurer. Für die RNV wäre die Ochsenkopf-Lösung praktikabler gewesen als der Neubau am alten Standort im laufenden Betrieb. Bleibt die Natur. „Natürlich ist jede grüne Wiese erst einmal schützenswert. In diesem Fall hätten aber die Vorteile einer wirtschaftlichen Nutzung deutlich überwogen“, stellt CDU-Fraktionschefin Nicole Marmé klar. Auch die Frage, wie bedeutsam die Ochsenkopfwiese aus ökologischer Sicht tatsächlich ist, darf gestellt werden. „Die Ochsenkopfwiese ist zunächst einmal im Ursprung eine Gewerbefläche, die mittlerweile nicht mehr als solche genutzt werden darf. Aber es handelt sich nicht um ein ursprüngliches ,Stück Natur‘“, merkt Sören Michelsburg an. Durch die geplante Tieferlegung und oberirdische Begrünung des Betriebshofs hätte der Ochsenkopf im Vergleich zum Ist-Zustand vermutlich sogar aufgewertet werden können. „Aber die Ochsenkopfwiese ist nicht nur mit Blick auf die dortige Biodiversität, sondern auch bezüglich der Luftströme, also für das Stadtklima eine wichtige Fläche“, findet Sahra Mirow. Zur Wahrheit über das Stadtklima gehört aber auch: Die klimaökologische Untersuchung im Juni 2019 (GEO-NET Umweltconsulting GmbH) hat im Zuge eines Betriebshofs-Neubaus auf der Ochsenkopfwiese einen möglichen Anstieg der mittleren Lufttemperatur um etwa 1,2 Grad in der Nacht und 0,8 Grad am Tag prognostiziert. Das ist nicht schön, für Flora und Fauna aber vermutlich verkraftbar. Für die naheliegende Ochsenkopf-Siedlung wären laut Gutachten keine Veränderungen zu erwarten gewesen. Im Gegenzug hätte die neue Nutzung des RNV-Geländes in Bergheim (Wohnbebauung und ein 12.000 Quadratmeter großer Park) die Situation für die Anwohner verbessert. Die Lufttemperatur im „Heidelberger Hitze-Hotspot“ hätte sich nachts um bis zu 1,4 Grad, am Tag sogar um bis zu 2 Grad verringern können. Ob die neue, mit 4.000 Quadratmetern viel kleinere Parkfläche, die im Zuge des Neubaus am Betriebshof nun entsteht, sowie die Fassaden- und Dachbegrünung ähnliche Effekte erzielen können, ist nicht belegt. Grüne und SPD haben sich immerhin dafür stark gemacht, dass rund um das neue zweistöckige Betriebshof-Koloss in Bergheim, der „zweitbesten Lösung, die mit diesem Gemeinderat möglich war“ (Michelsburg), überhaupt noch Grünflächen entstehen. Ob das die Projekt-Mehrkosten von rund 100 Millionen Euro gegenüber der Ochsenkopf-Lösung rechtfertigt?
Autor: Stefan Wagner (HAAS Publishing)